JÜRGEN RUNGE
verstorben1992
Jürgen Runge malte keine Ismen sondern Bilder. Er kümmerte sich nicht um Richtungen,
sondern um seine Farben. Ihn interessierte keine ideologisierende Kunstdebatte, sondern
zuerst sein Handwerk, ohne das keine Kunst möglich ist. Er war in gewisser Hinsicht ein
altmodischer Künstler, von dem man sich denken könnte, dass er in der Epoche seiner
Vorfahren, des Romantikers Philipp Otto Runge, mit leichtem Gepäck durch die Lande
gezogen wäre, um bei diesem und jenem Zeitgenossen zu lernen. In barocker Epoche wäre er
als Meister eines großen Ateliers völlig glaubwürdig, sparsam in seinen Anmerkungen zu
den Arbeiten der Schüler, am liebsten schweigsam und durch das Vor-Bild im wörtlichen
Sinne wirkend. Er blieb für sich darin ein Sohn des Jahrhunderts.
Zunächst zog er in der Tat mit leichtem Gepäck durch die Lande, lernte bei Daniel
Fretelier in Paris, bei Oskar Kokoschka, dessen Verschmelzung von impressionistischen und
expressionistischen Elementen von Runge kraftvoll weitergeformt wurde; couragiert,
spontan, mit unersättlich neugierigen Augen. Ein witziger Franzose sagte von ihm: Um Stil
kümmert er sich nicht - vermutlich wird er darum einen haben. Im Unterschied zu den (halb
so wilden )Neu-Expressionisten malt er diszipliniert, nicht sektiererisch, nicht
barbarisch, nicht fanatisch. Vielmehr voller Welt, voller Trauer, voller Freude und Takt.
Anmut hält er nicht für undeutsch.
Auflehnung gegen Manier und Zwang von Beginn an. Vier Jahre wanderte er mit Zigeunern
kreuz und quer durch Europa, nahm ihre Sprache (das Romenis) auf, nahm Ihr Lebensgefühl
und ihre ungeschriebenen Gesetze an. Er blieb ihren Regeln treu. Dennoch wurde er kein
"Zigeuner-Runge", sondern verwandelte ihre Beziehung zur Natur, zu Menschen, zum
Leben in seine eigene Bildsprache. Sie spiegelte sich in seinem Blick für Landschaften,
Bäume, Felder, Bäche, auf Häuser, auf Leute.
Lange Jahre wohnte er auf Ibiza, das südliche Licht suchend, aber auch die mediterrane
Strenge, auf die ihn die herrische Schönheit von Setes. Maries und Aigues Mortes
vorbereitet hatte. Schließlich eine Art von Heimkehr in den deutschen Norden ( die
Familie war in Pommern zu Hause). Im Schatten des Klosters Cismar, das Caspar David
Friederich hätte erfinden können, zog er in ein helles Biedermeierhaus mit einem
verwilderten Garten, in dem es nach Kindheit, Sommer, Brot (und Katzen) riecht.
Dort droben in Holstein, ein paar Kilometer von der Ostsee entfernt, malte er nun immer
draußen, - ob in sengender Hitze oder klirrender Kälte - ohne Skizzen, immer direkt,
immer spontan und im Handwerk unerbittlich genau - malte Szenen des schäumenden
nordischen Frühjahrs, die sommerliche Stille, die zarten Melancholien des Herbstes und
die kristallene Würde des Winters.
In seinen Bildern hat Runge den deutschen Norden von seiner Schwere befreit. Er
trieb
ihm die Dumpfheit aus. Er ließ ihn nach Melodien seiner Zigeuner singen. Er schaute ihm
die feineren, die klaren Linien ab, die bis zum Mittelmeer führen. Der Norden
behexte, verzauberte ihn, er machte ihn leicht. Das ist eine große Kunst.